Neurofilament bei ALS-Phänotypen – Implikationen für zukünftige klinische Studien

Im Juni 2024 wurden im European Journal of Neurology die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung zum Biomarker Neurofilament (NfL) veröffentlicht, an der 2949 ALS-Patienten an 16 ALS-Zentren in Deutschland und Österreich teilgenommen haben. Die Ergebnisse sind in der Biomarkerstudie „NfL-ALS“ entstanden, die von der Boris Canessa ALS Stiftung gefördert wird.

In der aktuellen Studie wurde der Zusammenhang von ALS-Phänotypen und der NfL-Erhöhung untersucht. So wurden alle Teilnehmer einer ALS-Phänotypen-Klassifikation zugeordnet, die aus zwei Kategorien besteht: 1) Phänotypen der Betroffenheit der Motoneurone (typische ALS oder ALS-Varianten mit überwiegenden Symptomen des ersten/zweiten Motoneurons) sowie 2) Phänotypen des Krankheitsbeginns (“Onset“) und der Symptomausbreitung („Propagation“) (bulbärer Beginn/Extremitätenbeginn; Flail-Arm-Phänotyp, Flail-Leg-Phänotyp; thorakaler Phänotyp. Anschließend wurden die ALS-Phänotypen jedes Patienten mit NfL und er ALS-Progression korreliert.

In der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die verschiedenen ALS-Phänotypen eine starke Auswirkung auf die ALS-Progression, aber auch den NfL-Wert haben. So hat der bulbäre Phänotyp einen besonders starken Einfluss auf die NfL-Erhöhung, während anderen Phänotypen (z.B. Flail-Arm und Flail-Leg-Phänotypen) einen geringeren Effekt auf den NfL-Wert haben. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass Phänotypen mit einem Überwiegen von Spastik oder Muskelatrophie (ALS-Varianten mit überwiegenden Symptomen des ersten/zweiten Motoneurons) mit einer deutlich geringeren NfL-Erhöhung verbunden sind.

Die Ergebnisse dieser Studie haben große Implikationen für die zukünftige Gestaltung von klinischen Studien. Dieser nachgewiesene Zusammenhang zwischen ALS-Phänotypen und Messparametern klinischer Studien (ALS-Progression und NfL) wurde in den zurückliegenden klinischen Studien nur unzureichend berücksichtigt. Dabei ist für die Aussagefähigkeit von klinischen Studien von besonderer Bedeutung, dass die Behandlungs- (mit Medikament) und Kontrollgruppe (mit Placebo) möglichst übereinstimmende klinische Merkmale aufweisen, um eine Vergleichbarkeit zwischen beiden Gruppen herstellen zu können.

Die Ergebnisse unserer Forschung zeigen, dass die ALS-Phänotypen als Kriterium für die Zusammensetzung einer Studiengruppe bedeutsam sind. Mit der Berücksichtigung von Phänotypen bei den Einschlusskriterien (Zusammensetzung der Studiengruppen) oder bei der Analyse der Studie (Stratifizierung nach Phänotypen) soll die Aussagekraft und Effizienz klinischer Studien optimiert werden. Auch in anderen Bereichen der Medizin hat die stärkere Differenzierung von Phänotypen (zum Beispiel in der Entwicklung von Medikamenten gegen Multiple Sklerose oder Krebserkrankungen) zu einer Verbesserung und Beschleunigung der Medikamentenentwicklung geführt.

Über die NfL-ALS-Studie:

Die Studie „Neurofilament light chain bei der ALS“ (NfL-ALS) ist eine Biomarkerstudie, die seit Juni 2020 an 19 ALS-Zentren in Deutschland und Österreich durchgeführt wird. Es handelt sich um die weltweit umfangreichste Studie zu NfL bei der ALS, in der systematische Daten über die Verwendung von NfL als Prognose- und Therapiemarker erhoben werden. Die Studie wird durch die Boris Canessa ALS Stiftung gefördert und ermöglicht.

Über die Boris Canessa ALS Stiftung:

Die Boris Canessa ALS Stiftung mit Sitz in Düsseldorf ist eine private Stiftung zur Förderung von ALS-Therapieforschung in Deutschland mit den wissenschaftlichen Schwerpunkten von Biomarkern, Genetik, Digitalisierung sowie der spezialisierten Behandlung mit Medikamenten und Medizintechnik. Die Boris Canessa ALS Stiftung ist weiterhin Herausgeberin des ALS-Podcast.

Autor: Prof. Dr. Thomas Meyer

Neurofilament bei ALS Phaenotypen

Quelle: [30.06.2024 – CHARITÉ – UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN, Charité Centrum für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, https://als-charite.de/neurofilament-bei-als-phaenotypen-implikationen-fuer-zukuenftige-klinische-studien/]